Über das Denken in "Produkten" und "Märkten".

Wo es schadet - wo es nützt.

 

Von Thomas Schuler, Chemnitz

 

Über Produkte im Kulturbereich lässt sich trefflich streiten. Am einfachsten machen es sich diejenigen, die gar nicht streiten, sondern den Kopf in den Sand stecken - in der Hoffnung, die Turbulenzen der Verwaltungsreform würden irgendwie an uns vorbeiziehen. Andere Kollegen schweigen zwar nicht, sondern mosern herum über die Leute, die keine Ahnung von Kultur haben, aber uns belehren wollen, wo's lang geht. Wieder andere Kollegen nehmen die Diskussion um Produkte ernst - aber sehen in ihr einen Generalangriff auf die abendländische Kultur und verstellen sich so den Weg zu einer sachlich-produktiven Auseinandersetzung.

 

Wer sich jedoch konstruktiv und kritisch  an dieser Diskussion beteiligen will, dem eröffnen sich zwei Wege:

 

Nun zu meiner ersten These: Der Produkt-Begriff, mit dem wir im Rahmen der Verwaltungsmodernisierung konfrontiert werden, stammt aus der Betriebswirtschaft, genauer gesagt, aus dem Marketing. Marketing allerdings ist ursprünglich entwickelt worden für die Vermarktung von Waren. Nach und nach wurden die Marketingprinzipien auch auf Dienstleistungen (z. B. Medizin), auf immaterielle Güter (z. B. Image) und auf nicht kommerzielle Organisationen (z. B. Museen) ausgedehnt. Doch je weiter sich die Marketinglehre von ihrem Kerngebiet entfernt, desto mehr muß sie Umwege gehen, Krücken basteln, Begriffe aufweichen oder neu definieren.

 

Wir Kulturleute haben mit dem Marketing nur in seinen abgeleiteten Anwendungen zu tun. Wir sind  Dienstleister, wir produzieren in erheblichem Umfang immaterielle Güter und wir sind ganz oder überwiegend eine non-profit-Organisation. Wir müssen also - dies ist meine erste Grundthese - sehr kritisch prüfen, ob die Marketingkategorien - wie das Denken in Produkten - überhaupt für uns angemessen sind.

 

Auch meine zweite Grundthese relativiert die Bedeutung von Produkten, indem sie die Basis des Marketingdenkens in Frage stellt: Bevor man nämlich Marketinginstrumente anwendet, muß man entschieden haben

 

Für die Museen unterscheide ich hier zwischen fünf Gruppen von Wirkungsbereichen:

 

1. Bereich: die Märkte im ursprünglichen Sinn (Verteilung realer Güter)

 

Wenn wir nicht einen Katalog, sondern ein Buch produzieren, das auch im Buchhandel vertrieben werden soll, dann ist es zwingend geboten, daß wir uns auf Marketing einlassen und      es ist durchaus sinnvoll, die Buchproduktion als eines unserer "Produkte" zu definieren.

 

2. Bereich: klassische Dienstleistungsmärkte wie "Tourismus" und "Freizeit"

 

Hier hängt es von Auftrag und Konzeption eines Museums ab, ob es sich an diesen Märkten

beteiligen kann und will. Wenn es teilnimmt, dann allerdings ist es zwingend geboten, dies auch professionell, reflektiert und transparent zu tun, d. h. wir müssen Produkte definieren.

 

3. Bereich: ambivalente Dienstleistungsmärkte wie z. B. Bildung

 

In Deutschland sind die Bildungsangebote in Marktkategorien nur unvollkommen zu beschrei­ben. Für den Bildungsauftrag eines Museums muß man also zunächst sondieren,

wieweit es in einzelnen Teilmärkten wie "außerschulische Lernorte", "Erwachsenen­bildung", oder "Wissenschaft" funktionierende Marktmechanismen gibt. In einem zweiten Schritt muß dann entschieden werden, ob es angemessen ist, die eigenen Angebote in Form von Produkten zu beschreiben.

 

4. Bereich: die "Krücken"-Märkte, d. h. die Aktionsfelder, die sich zwar auch als Märkte beschreiben lassen, aber nur in abgeleiteter oder übertragener Form.

 

Unstrittig ist etwa,

 -   dass täglich geöffnete Museum zur Infrastruktur einer Großstadt gehören,

 -   dass Profil und Qualität der Museen das Image einer Stadt prägen,

 -   dass Museen auch einen wichtigen Beitrag zur lokalen oder historischen oder kulturellen Identität liefern.

 

Doch diese Wirkungsbereiche als Märkte und diese Leistungen als Produkte zu definieren, ist mühsam, wenig hilfreich und oft sogar schädlich; denn es verführt zum Messen vor schwer oder gar nicht Messbarem. Doch ebenso schädlich wäre es, das Denken in Märkten und Produkten aus diesen Bereichen völlig zu verbannen. Denn es ist ebenfalls unstrittig, dass es beim "Infrastruktur-Markt" einer Großstadt verschiedene Marktanbieter gibt; geöffnete Museen konkurrieren da mit dem Spielplan eines Theaters oder der Mietbarkeit eines Kongreßzentrums.

 -  Das Image einer Stadt wiederum spielt eine zentrale Rolle in der Standortkonkurrenz, d. h. in einem Markt, bei dem Städte und Regionen sich Investoren oder Touristen anbieten.

 -  Selbst das Angebot an historischer Identität eines stadtgeschichtlichen Museums steht durch­aus in einer Konkurrenzsituation. Es muß sich behaupten zum einen gegenüber Identitätsangeboten eines Kunstmuseums, zum anderen gegenüber den stärker gegenwarts-  oder zukunftsbezogenen Identitäten, wie sie z. B. Sport oder Wirtschaft anbieten können.

 

5. Bereich: die hypothetischen Märkte

 

Es gibt nur einen Bereich, in dem wir uns überhaupt nicht auf Märkte und Produkte einlassen

sollten, und das ist unsere Leistung für die Zukunft. Archive, (mit Abstrichen) Museen und

(mit noch mehr Abstrichen) Bibliotheken rechtfertigen ihre Existenz dadurch, dass sie nicht

nur für heutige, sondern auch für künftige Nutzer arbeiten. Selbstverständlich haben die

Marketingexperten auch diese Zielgruppe längst als “Kunden” definiert und das Sammeln für

die Zukunft als "Produkt" akzeptiert. Doch ich halte dies - mit Verlaub gesagt - für Unfug.

 

Wer bitteschön, kann den Marktteilnehmer der Zukunft beschreiben?

Wer weiß schon,

 -  was Geschichts- oder Kunstwissenschaftler als Quellen und Arbeitsmaterial einst benötigen werden?

 -  was Lehrer und Schüler in einem Museum in fünf Jahrhunderten werden sehen wollen?

 -  was ein Museum für Kulturinteressierte - falls es die dann noch geben wird - bedeuten wird?

 

Und die ganz hartnäckigen Verwaltungsreformen, die von uns ganz ernsthaft Produktdefinitionen für die Märkte der Zukunft abverlangen, pflege ich mit der Frage nach dem Kultur- und Stand­ortmarketing von August dem Starken zu konfrontieren. Dresden profitiert im 20. Jh. erheblich von den Kultur-Investitionen der Barockzeit, und zwar sowohl  in der Städtekonkurrenz in Sachsen (mit Leipzig als Handelszentrum und Chemnitz/Karl-Marx-Stadt als Industriezentrum) als auch in Deutschland (mit Berlin, München, Köln und Hamburg als Kulturmetropolen). Doch selbst wenn ich so weit gehe, das damalige Handeln in Marktkategorien zu beschreiben - z. B. als Imagekonkurrenz der deutschen Reichsfürsten oder als Investition August's im Wettstreit um die polnische Königskrone - dann wird erst recht deutlich, dass August der Starke überhaupt nicht in der Lage war, die heutige Marktsituation, z. B. den Standortwettbewerb zwischen alten und neuen Bundesländern, oder den Massentourismus im Grünen Gewölbe, vorherzusehen oder gar im voraus zu steuern.

 

Mein Fazit:

Kultureinrichtungen sollten sich nicht von Verwaltungsreformen oder Marketingexperten überfahren lassen. Der Satz "Produkte sind ein zentrales Element der Verwaltungsmodernisierung, deshalb müssen auch die Kultureinrichtungen Produkte definieren" fordert meinen schärfsten Widerspruch heraus. Erstens sind wir in den Randzonen des klassischen Marketings tätig und zweitens sind unsere Wirkungsfelder in sehr unterschiedlicher Weise als Märkte organisiert. Wir müssen daher zunächst sondieren, ob und inwieweit unsere Wir­kungsbereiche de facto in Deutschland als Märkte funktionieren. Erst dann können und müssen wir partiell Produkte definieren.

 

Wer von meinen Ausführungen erhofft hat, dass es im Kulturbereich überflüssig sei, Produkte zu definieren, den muss ich doppelt enttäuschen. Zum einen sind in vier der fünf beschriebenen kulturellen Wirkungsbereiche Marktmechanismen zu beobachten und

damit Produktdefinitionen erforderlich. Zum anderen bedeutet meine ablehnende Haltung gegenüber Produkten in bestimmten Feldern (z. B. der Zukunftsvorsorge) keineswegs, dass wir in diesen Feldern nicht über unseren output nachdenken müssten oder dass wir uns schriftliche Festlegungen hierzu ersparen könnten. Eine Museumskonzeption muss selbstverständlich das gesamte Aufgabenspektrum genau beschreiben und auch unsere nicht an Märkten zu erbringenden Leistungen präsentieren. Doch den Begriff "Produkt" (und die damit verbundenen Zwänge) sollten wir auf diejenigen Leistungen beschränken, die an Märkten angeboten werden können und die in einem für Controlling relevanten Zeitraum messbar sind.

 

Auf Grund meiner soeben skizzierten ambivalenten Haltung zum Denken in “Märkten” und “Produkten” habe ich für mein eigenes Arbeitsgebiet, die Museen, ein differenziertes Modell entwickelt. Es unterscheidet drei nach unterschiedlichen Regeln geführte und unterschiedlich finanzierte Bereiche innerh­­alb eines Museums.

 

Die "Sammlung" umfasst die klassischen Aufgaben des Sammelns, Bewahrens und Erforschens. Sie orientiert sich an den Verwaltungsregeln und am Selbstverständnis, das für öffentliche Archive gilt. Dementsprechend wird dieser Bereich völlig aus der öffentlichen Hand finanziert; lediglich bei großen Erwerbungen oder Publikationen werden Zusatzmittel eingeworben. Produktbeschreibungen sind hier nur in kleinen Teilbereichen möglich.

 

Die "Galerie" vereinigt alle Ausstellungsaktivitäten (einschließlich Begleitprogramm) sowie die Museumspädagogik. Sie verfügt über ein durch öffentliche Mittel abgesichertes Stammbudget, das mit eigenen Einnahmen, Fördermitteln und Sponsorengeldern ausgeweitet werden sollte. Die einzelnen Ausstellungen dürfen nicht nach Rentabilitätsgesichtspunkten beurteilt werden; in einem Mehrjahresturnus sollte jedoch eine ausgeglichene Bilanz erreicht werden. Dieser Bereich muss sich also einer ständigen quantitativen und qualitativen Effizienzkontrolle unterziehen, braucht allerdings nicht kostendeckend zu arbeiten. Produktdefinitionen spielen hier eine wichtige Rolle.

 

Der Service-Betrieb umfasst zum einen die Öffentlichkeitsarbeit, zum anderen alle nach außen gerichteten Dienstleistungen des Hauses, z.B. die Verpachtung des Cafes, die Vermietung von Räumen für Einzelveranstaltungen, die Beratung durch Museumsmitarbeiter sowie die Produktion und den Verkauf von Büchern, Bildern und Repliken. Dieser Betrieb muss strikt nach betriebswirtschaftlichen Regeln geführt werden, wobei allerdings nicht jedes einzelne Produkt kostendeckend sein muss; lediglich der Jahreshaushalt muss ausgeglichen sein. Aus Überschüssen werden Rücklagen für künftige Produkte gebildet. Der Servicebetrieb  ist also kein "Profit-Center", das die Verluste der beiden anderen Betriebe ausgleichen soll. Dass die Produkte des Service-Betriebs definiert sein müssen, versteht sich von selbst.

 

Das gemeinsame “Dach” über diesen drei Bereichen besteht zum einen aus der mit einem Museumsfachmann besetzten Einzelspitze, der ggf. Stabsstellen zugeordnet sein können. Zum anderen sind hier übergreifende interne Aufgaben angesiedelt, wie z. B. Sekretariat, Verwaltung, Haustechnik und Sicherheit.

 

Dieses Modell wurde von mir ursprünglich für meine Museumsmanagement-Vorlesungen bei der Leipziger Museologie-Ausbildung entwickelt. Mittlerweile ist es als “Chem­nitzer Modell” von der “Fach­gruppe Stadt- und heimatgeschichtlicher Museen im Deutschen Mu­seumsbund” als Grundlage für unsere weiteren Reformdiskussionen akzeptiert worden. Ich möchte heute nicht auf die einzelnen Aspekte eingehen; das Modell soll lediglich demonstrieren, dass wir Kulturleute gut daran tun, unseren output und dessen Entstehungsbedingungen sehr differenziert zu beschreiben: Produkte zu definieren ist in einigen wichtigen Teilbereichen nützlich und notwendig, in anderen jedoch hinderlich oder unsinnig.


Quelle

 

Den Wandel durch Fortbildung begleiten.

 

Abschlusskonferenz des Projekts:

"Neue Steuerungsformen und MitarbeiterInnenqualifizierung

in kommunalen und freien Kulturbetrieben"

Bonn, Kulturpolitische Gesellschaft, 28./29. Januar 1998

 

 Forum 6:

Produkte und Leistungsbeschreibungen - Qualitätsmessung in der Kultur