Thomas Schuler

 

“Nach dem Hochwasser” ist “Vor dem Hochwasser”

Die Sächsische Agenda-Liste zur Katastrophen-Vorsorge


Anhang 2 zu: Thomas Schuler, Hochwasser in Sachsen: Krisenmanagement, Schäden, Vorsorgemaßnahmen

Druck-Veröffentlichung: In: Bedrohte Museen. Naturkatastrophen, Diebstahl, Terror, Wien: ICOM Austria, 2004.

 

 

In Sachsen wurde die Hochwasserkatastrophe auf zwei Museumstagungen ausgewertet:

Die folgende Liste ist ein erster Versuch, das auf beiden Tagungen zum Thema “Vorsorge” Gesagte zu systematisieren, zu komplettieren und in einem handlungsorientierten Maßnahmenkatalog zusammenzufassen; mein Dank geht insbesondere an Michael John (Staatliche Kunstsammlungen Dresden), Ken Golding (Heritage Safety Management Services, GB) und Wilbur Falk (Getty Conservation Institute, Kalifornien).

 

 

I)    Gebäude: Raumkonzept und Funktionsverteilung

 

 

A)   gefährdete Zonen definieren

 

1)   Keller / UG

2)   EG

3)   Dachgeschoß

4)   Nebengebäude /Außenmagazine

 

 

B)  Risikoklassen definieren

 

1)   Klasse 1: Kompaktmagazine

Begründung: Evakuierung äußerst erschwert; Unersetzbarkeit der Objekte

 

2)   Klasse 2: Magazine

Begründung: Evakuierung kostet viel Zeit und Arbeitskraft; Unersetzbarkeit der Objekte

 

3)   Klasse 3: vitale Museumstechnik

- Zentrale Stromversorgung

- Werkstatt

Begründung: Die Stromversorgung muss so lange wie möglich aufrechterhalten werden; beim Evakuieren müssen Werkzeuge und Hilfsmittel voll verfügbar sein.

 

4)   Klasse 4: Ausstellung

Begründung: Die Ausstellungen sind aufgrund der überschaubaren Zahl der Objekte wesentlich leichter zu evakuieren als Magazine. Außerdem sind Objekte bei kleineren Überschwemmungen nicht so gefährdet, da sie überwiegend im Sichtbereich, d.h. über 75 cm über Fußbodenhöhe, angebracht sind.

 

5)   Klasse 5: Restaurierungswerkstätten

Begründung: Die Rettung von Objekten aus diesen Werkstätten kann meist in sehr kurzer Zeit erfolgen. Allerdings ist die Einrichtung meist sehr kostenintensiv, und nach einer Katastrophe werden diese Werkstätten dringend benötigt.

 

6)   Klasse 6: haustechnische Zentralen (Heizung, Klima, Sicherheit)

Begründung: Erneuerbar, allerdings mit sehr hohen Kosten. Ausfall führt zu Verzögerungen bei der Wiederinbetriebnahme des Museums und zur Gefährdung der Klimastabilität und Diebstahlsicherheit der geretteten Objekte.

 

 

C)  Synergien / neue Lösungen

 

1)   im eigenen Haus

2)   mit anderen Museen

3)   mit neuen Partnern

 

 

II) Gebäude: Vorsorge - Baumaßnahme

 

 

A)   Umfeldsicherung

 

1)   ehemaliges Fluss-/Bachbett als Risikofaktor

2)   Schutzdämme, Ableitdämme

3)   Flutrinnen, Ablaufkanäle und -röhren

 

 

B)  mechanische Sicherung gegen Hochwasser

 

1)   Unterspülschutz der Fundamente

Begründung: Absicherung gegen Einsturz von Mauern in flussnahen Lagen

 

2)   Fensterschutz durch Läden oder -gitter

Begründung: Absicherung gegen Zerstörung der Fenster durch Treibgut (mit enormen Folgenschäden)

 

3)   abgedichtete Zusatztüren und Fensterläden

Begründung: Absicherung gegen Eindringen von Hochwasser

 

 

C)  statische Sicherung gegen Grundwasser

 

1)   Risiko 1: Auftrieb des gesamten Gebäudes (vor allem bei Gebäuden mit wenig Auflast)

2)   Risiko 2: Grundwasserdruck auf Außenmauern im Untergeschoss

 

 

D)  Abdichtung des Untergeschosses

 

1)   Wannen-Konstruktion (Achtung Auftrieb: Siehe C 1)

2)   druckfeste Abdichtung von Außenöffnungen (Schächte, Rohrdurchbrüche)

3)   Rückschlagventile an Abwasserleitungen

 

 

E)   Evakuierungswege und -öffnungen

 

1)   Lichte Weite

2)   Stolperfallen (z. B. Bodenöffnungen, Schwellen)

3)   Notbeleuchtung

4)   Orientierungshilfen (z. B. nachleuchtende Farbe)

5)   Betriebsstabilität von Aufzügen

 

F)   Notdepot vorbereiten

 

 

III) stationäre Einbauten

 

 

A)   Risikovermeidung in gefährdeten Zonen

 

1)   Gefahrgutlagerung

2)   Öltanks

3)   betriebstechnische Substanzen (z. B. Hydrauliköl des Aufzugs; Restaurierungswerkstatt)

 

 

B)  Krisenvorsorge

 

1)   Notstromaggregate (Leistungsfähigkeit genau kalkulieren)

2)   Not-Arbeitsbeleuchtung in gefährdeten Bereichen (bes. Depots) installieren

3)   Pumpen und Pumpensümpfe

 

 

IV) mobile Elemente

 

 

A)   Gebäudeschutz

 

1)   vorgefertigte Sicherungen für Türen und Fenster

2)   Sandsäcke

3)   Folie

4)   Bauschaum

5)   Abkleben von Schlössern

Begründung: Schmutzwasser macht Schlösser unbrauchbar

 

 

B)  Objektschutz

 

1)   Einhausungen von nicht transportablen Objekten

2)   Magazinlagerung auf Paletten

 

 

C)  Evakuierungshilfen

 

1)   Taschenlampen /Kerzen

2)   Arbeitshelme mit Licht

3)   Transportkisten

 

 

D)  Schutz bei Evakuierung und Ersthilfe

 

1)   Stiefel

2)   Handschuhe

3)   Atemschutz

 

 

V)  Organisatorische Vorkehrungen

 

 

A)   Planung

 

1)   neue Notfall- und Evakuierungspläne nach Katastrophenarten differenziert erarbeiten

Begründung: Die Katastrophenpläne aus DDR- und BRD-Zeiten waren primär auf Krieg und insbesondere Luftkrieg abgestimmt, sie sind daher bei Hochwasser z. T. schädlich!

 

2)   nicht nur auf einen Katastrophentyp wie Hochwasser fixiert sein, sondern auch Brand- und Diebstahlgefahr sowie Hitze- und Kälteperioden berücksichtigen und alle durch Umweltveränderung bedingten Katastrophen bedenken, z. B. Abdeckung von Dächern durch Orkanböen und damit Wassereinbruch von oben.

 

 

B)  Wartung

 

1)   Notstromaggregate

2)   Akku /Batterien der Taschenlampen

3)   Rückschlagventile

4)   Telefonlisten für Alarmierung (Rettungsdienste, Mitarbeiter, Vorgesetzte, Kollegen)

 

 

C)  Planspiele

 

1)    Szenario 1:                Museum ohne Telefon / Computer

2)    Szenario 2:                Museum ohne Heizung / Klimaanlage

3)    Szenario 3:                Museum ohne Strom

4)    Szenario 4:                Museum im Hochwasser

5)    Szenario 5:                Museum von Umwelt abgeschnitten

 

 

D)  Notfall - Infrastruktur vorbereiten und erproben

 

1)   Abpumpstrecken

Begründung: Bei Hochwasser ist es nicht einfach, das abgepumpte Wasser so zu entfernen, dass es für einen selbst und andere unschädlich ist.

2)   Evakuierung

3)   Reinigung

4)   Schimmelbekämpfung

5)   Sicherheitsmanagement

Begründung: Vom Beginn einer Katastrophe bis zum Abschluß der Rettungs- und Baumaßnahmen ist die Sicherheitslage meist sehr prekär.

 

 

E)   Informationen zu Krisenbeginn

 

1)   Forderung an Behörden: Einführung eines Katastrophen-Voralarms (“Katastrophenwarnung”)

Begründung: Das Ausrufen des Katastrophenzustandes ist mit solchen juristischen und finanziellen Folgen verknüpft, dass einige Behörden lange gezögert haben, diesen Zustand auszurufen. Es müsste daher eine einfache Katastrophenwarnung eingeführt werden, die es jedem ermöglicht, frühzeitig und auf eigenes Risiko seine Vorkehrungen zu treffen.

 

2)   Telefonkette der an einem Flusslauf gelegenen Museen

Begründung: Solange das Vertrauen in die öffentlichen Warnsysteme nicht wieder hergestellt  ist, sollten die in der Nähe eines Flusses gelegenen Museen ihre eigene Telefonwarnkette aufbauen. Für Sachsen wird dies auf der Basis der bereits veröffentlichten (Informationen SMB 24 (2002) S. 75f), nach Flüssen gegliederten Liste vom Sächsischen Museumsbund vorbereitet.

 

3)   Informationskette zur Alarmierung der Mitarbeiter und Freunde des Museums.

 

 

F)   Krisenmanagement

 

1)   Befugnisse in Katastrophensituationen im Voraus beraten und klären; Ziel: hohe Autonomie der Entscheidungen des Museumsleiters.

 

2)   Sondervollmachten schriftlich erteilen (z B. keine vorsorgliche und frühzeitliche Evakuierung des Personals, solange Museumsgut noch nicht gesichert ist).

 

3)   Forderung an Politik: Stärkere Einbeziehung von Kulturgutschutz in den Krisenstäben

 

 

VI) Ersthilfe-Management

 

 

A)   Risikoabschätzung und -vorsorge

 

1)   Stromschlag

2)   Schadstoffe im Wasser

3)   Schadstoffe in der Atemluft

4)   Schimmel

 

 

B)  Einsatz der freiwilligen Helfer

 

1)   registrieren (auch für Dank hinterher!)

2)   einweisen

3)   betreuen/führen

4)   kontrollieren

 

 

C)  kollegiale Hilfe

 

1)   Partnerschaften von Museen

2)   Vermittlung von Hilfsangeboten von Fachkräften (Restauratoren)

 

 

D)  Kommunikation

 

1)   eigene Internet-Plattform als Informations- und Steuerungsinstrument

(Beispiel: “www.schlossbergmuseum.de/smb/flut.html”;

Erfahrungsbericht: “www.schlossbergmuseum.de/smb/flut-info.html#Web”)

 

2)   Internet-Portale und Mailing-Listen

- H-Museum

- historicum.net

- demuseum


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